Am Sonntag hat der Vorsitzende der Vereinigten Generalstabschefs Admiral Mike Mullen in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf eingegriffen. Mullen gab auf Fox News ein Interview, in dem er die von dem voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Senator Barack Obama, vorgeschlagene Änderung der amerikanischen Politik im Irak ablehnte und sich für die Fortsetzung der Politik der Bush-Regierung aussprach, die auch vom Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, John McCain unterstützt wird.
Allein schon das Timing und der Ort von Mullens Auftritt war ein politisches Statement. Er hatte sich für einen Auftritt in "Fox News Sunday" entschieden, der Sonntagmorgen Interviewsendung des Fernsehsenders mit den engsten Verbindungen zur Republikanischen Partei, und zwar am selben Tag, an dem Senator Obama zu Gesprächen mit amerikanischen und afghanischen Regierungsvertretern in Afghanistan eintraf, und einen Tag vor seiner geplanten Ankunft in Bagdad.
Obama gab in der konkurrierenden Sonntagmorgen Interviewsendung von CBS "Face the Nation ein groß angekündigtes Interview. Mullens Auftritt auf Fox News dreißig Minuten früher hatte den Charakter einer direkten Antwort auf den Kandidaten, der gegenwärtig in den Umfragen für den Posten des nächsten Oberkommandierenden führt.
Mullen war sich natürlich klar, dass er angesichts der Ereignisse des Wochenendes nach Obamas Wahlkampfversprechen gefragt werden würde, die meisten amerikanischen Kampftruppen innerhalb von sechzehn Monaten aus dem Irak abzuziehen. Das Medieninteresse war überragend, weil am Samstag der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki Obamas Pläne in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel gutgeheißen hatte.
Im Verlauf des Interviews wurde Mullen von Fox-Moderator Chris Wallace nach Obamas Plan und Malikis Äußerung gefragt. Seine erste Antwort war eine sorgfältig formulierte Erklärung, in der er zumindest fürs Protokoll erläuterte, dass das Militär die Politik des gewählten zivilen Präsidenten ausführt.
Er erklärte: "Nun, meine momentane Mission unter dem gegenwärtigen Oberkommandierenden besteht darin, ihn zu beraten und Empfehlungen zu geben auf der Grundlage des Fortschritts dort, d.h. ausschließlich auf der Grundlage der Lage vor Ort. Das ist meine Mission. Sollte sich diese Aufgabe ändern und wir einen neuen Präsidenten bekommen, dann würde ich diesen künftigen Präsidenten nach seinen Wünschen beraten."
Wallace setzte nach: "Aber ich frage Sie in Abwesenheit - vergessen Sie einmal Obama. Vergessen Sie die Politik. Wenn ich Ihnen sagen würde: "Lassen sie uns einen Termin festlegen, unsere Kampftruppen innerhalb von zwei Jahren vollständig abzuziehen", was wären nach Ihrer Meinung die Folgen einer solchen zeitlichen Festlegung?"
Mullen antwortete: "Ich glaube die Folgen wären sehr gefährlich. Ich bin überzeugt, dass es jetzt sehr wichtig ist, Entscheidungen über Truppenabzüge von der Lage vor Ort abhängig zu machen."
Weiter berief er sich auf General Petraeus und General Raymond Odierno und auf niedrigrangigere Offiziere: "Als ich vor einigen Wochen mit Kommandeuren vor Ort sprach, waren sie sehr, sehr entschlossen, weitere Fortschritte zu erzielen, verlangten Entscheidungen auf Grundlage der tatsächlichen Ereignisse auf dem Schlachtfeld. Und ich glaube, das ist eine kluge Herangehensweise."
Als Wallace ihn nach den "Risiken" eines Zeitplans für den Truppenabzug fragte, erklärte Mullen: "Ich fände jeden schnellen Abzug problematisch, der Instabilität schaffte, wo wir jetzt Stabilität haben."
Am nächsten Tag war Mullens Interview der Aufmacher auf der offiziellen Web Site des Pentagon. Der Bericht vermied zwar peinlich, Obamas Namen zu erwähnen, aber er hob genau die Worte Mullens hervor, in denen er Obamas 16-Monats Rückzugsplan kritisierte.
Es ist noch nicht so lange her, da wären solche Äußerungen des Obersten Uniformträgers der amerikanischen Streitkräfte zu einer im Zentrum des Präsidentschaftswahlkampfs stehenden Frage noch als illegitime Einmischung des Militärs in die Politik betrachtet worden. Mullen hätte sein Eingreifen in den Wahlkampf leicht vermeiden können. Er hätte erst gar nicht in dem Programm auftreten können, oder erhätte der Frage mit dem Hinweis aus dem Weg gehen können, dass es sich für den Vorsitzenden des Generalstabs nicht gezieme, sich dazu zu äußern.
Mullens Auftritt hatte seine Vorläufer in mehreren zunehmend selbstbewussten Erklärungen hoher Offiziere, die bis zu der außergewöhnlichen Gastkolumne von General Petraeus im Oktober 2004 zurückgeht, damals noch eine Figur aus der zweiten Reihe. Damals verteidigte er den Irakkrieg gegen Kritik des damaligen Demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry.
Der Höhepunkt war im vergangenen Jahr die Äußerung des scheidenden Vorsitzenden des Generalstabs Peter Pace, Mullens Vorgänger, über Antikriegsdemonstranten. Er erklärte, dass die Meinungsfreiheit ihre Grenzen habe und dass es "in dieser Diskussion nicht darum geht, ob wir einen Krieg mit einer Abstimmung beenden können’." Pace fuhr fort: "Wir haben einen Feind, der uns den Krieg erklärt hat. Wir befinden uns im Krieg. Die Frage ist also nicht sind wir in einem Krieg’, sondern, wie und wo und wann führen wir diesen Krieg am besten."
Die amerikanische Demokratie ist schon derart auf den Hund gekommen, dass Mullens Äußerungen in den offiziellen Medien und politischen Kreisen nicht einmal Kritik provozierten, geschweige denn verurteilt worden wären. Es wird inzwischen als normal hingenommen, wenn hohe Offiziere den Primat der Politik über das Militär in Frage stellen.
Diese Aushöhlung des Prinzips der Unterordnung des Militärs unter die zivile Führung und die zunehmend offene Intervention des Militärs im politischen Leben der USA sind das Ergebnis eines langen Prozesses, während dem der militärische Apparat, der an der Spitze einer Berufsarmee steht, an Größe und Selbstbewusstsein enorm zugenommen hat. Bei der Präsidentschaftswahl 2000 spielten Offiziere eine wichtige Rolle, als sie die Wahl in Richtung George W. Bush kippen halfen. Sie lieferten illegale militärische Briefwahlstimmen ab, von denen viele erst nach dem Wahltag abgegeben worden waren.
Gore und die Demokraten bewiesen ihre politische Feigheit und ihren Mangel an demokratischer Überzeugung, als sie ablehnten, die zweifelhaften Stimmen aus dem Militär anzuzweifeln. Ein Berater Gores berichtete später, dass der Demokratische Kandidat geklagt habe, ohne die Unterstützung des Militärs könne er die Präsidentschaft nicht übernehmen.
Man muss die Frage stellen: Hat die amerikanische Bevölkerung nach Meinung von Admiral Mullen, General Petraeus & Co das Recht, für ein Ende des Kriegs im Irak zu stimmen? Oder ist auch das unklug, unbesonnen und "sehr gefährlich"?
Natürlich tritt Obama nicht wirklich für ein Ende des Kriegs ein, aber ohne Frage ist sein Sieg in dem langen Nominierungswahlkampf der Demokraten nicht unwesentlich seiner kritischeren Haltung zur Entscheidung der Bush-Regierung, den Krieg zu beginnen und zur Komplizenschaft der Kongress-Demokraten geschuldet, zu denen auch seine Hauptkonkurrentin Hillary Clinton gehörte.
Das McCain-Lager hat sich sofort auf Mullens Äußerungen gestürzt und sie praktisch als Unterstützung für die Position des Republikanischen Kandidaten zum Irakkrieg reklamiert. McCains außenpolitischer Sprecher Randy Scheunemann griff Mullens Äußerungen auf und erklärte: "Barack Obama sagt, er wolle einen "sicheren und verantwortungsvollen Rückzug aus dem Irak, hält aber stur an einem bedingungslosen Rückzug fest, der Politik höher stellt, als den Rat unserer Militärführer, den Erfolg unserer Truppen und die Sicherheit der amerikanischen Bevölkerung."
McCains Papageien, wie Senator Joseph Lieberman, der Demokratische Vizepräsidentschaftskandidat von 2000, der jetzt für den Republikanischen Kandidaten Wahlkampf macht, ging sogar noch weiter und portraitierte Obamas Position als defätistisch, um nicht zu sagen an Verrat grenzend. Nach den Äußerungen Mullens auf Fox News am Sonntag erklärte Lieberman: "Wenn Barack Obama die Politik im Irak bestimmt hätte, dann könnte er heute nicht im Irak sein", und fügte hinzu, dass Obama, "bereit ist, Rückzug und Niederlage zu akzeptieren."
McCain hat quasi schon den Sieg im Irak ausgerufen. Er verkündete Reportern am Montag bei einer Spendensammelveranstaltung in Maine: "Wir haben gesiegt. Wir sind nicht auf dem Weg zum Sieg, wir haben schon gesiegt." Er fügte noch hinzu: "Und Tatsache ist, wenn wir Senator Obamas Kurs gefolgt wären, dann hätten wir verloren und uns würde ein umfassenderer Krieg drohen."
McCain war offensichtlich über die große Publicity frustriert, die Obama mit seiner Auslandsreise auf sich zieht, und über seine deutliche Führung in allen nationalen und einzelstaatlichen Umfragen.
Die Differenzen zwischen Obama und McCain widerspiegeln einen politischen Konflikt in der amerikanischen herrschenden Klasse über die Frage, wie die Intervention im Nahen Osten und in Zentralasien am besten vorangebracht werden kann. Obama spricht für den Teil der ökonomischen und politischen Elite, der die einseitige Konzentration der Bush-Regierung auf den Irak als strategische Katastrophe sieht, die den Iran gestärkt und die Glaubwürdigkeit des amerikanischen Imperialismus in der ganzen Welt unterhöhlt hat.
Die amerikanische Bevölkerung hat sich zwar gegen den Krieg im Irak gewandt, die Wahl bietet ihr aber keine Möglichkeit, ihrer Meinung Ausdruck zu geben. Die Reise Obamas macht vielmehr klar, dass bei der Wahl lediglich darüber entschieden wird, welcher Krieg vorwiegend mit Menschen und Material versorgt wird, der in Afghanistan oder der im Irak.
Es ist eine bedrohliche Entwicklung für die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung, wenn die Militärführung sich jetzt in diesen Bruderkampf innerhalb der herrschenden Elite einmischt und immer offener einen eigenständigen Einfluss auf die Politik für sich reklamiert.